Das Gedicht "Muttertag" ist keines von der "üblichen" Art. Verfasst wurde es von einer verletzten Kinderseele, die sich im Zwiespalt zwischen Dankbarkeit bezeugen Wollen und dem Empfinden, dass sie die Mutterliebe, für die sie dankbar sein möchte, eigentlich nie erfahren hat und durch die vielen öffentlichen Bekundungen anderer, die sich am Muttertag öffentlich und medienstark bei ihren Müttern bedanken - jedes Jahr schmerzlich daran erinnert, wie sehr sie sich nach Mutterliebe gesehnt hat. Um ihre Mutter in den Augen der Leserschaft nicht schlecht dastehen zu lassen, möchte sie das Gedicht anonym veröffentlichen.
Muttertag
Ein schöner Tag,
Aber was,
Wenn man seiner Mama
Gar nichts Liebes sagen mag?
Keiner von den vielen
Sprüchen passt?
Wenn eigentlich
all die Botschaften
Auf den Karten und Tassen
Immer nur bei den andern passen,
und man diese Dinge anfängt, zu hassen?
Und man neidisch ist
Und die Sehnsucht einen plagt,
Aber man es nicht zu sagen wagt?
Dass man eine Mama
Nie hatte, nicht so,
Obwohl sie da war, irgendwo.
Und sie nicht traurig machen mag,
Denn das ist sie sowieso jeden Tag?
Was dann?
Wenn man all das
Was gedankt wird an
Diesem schönen Muttertag,
Nie gefühlt hat,
Nie – bis Mama im Sterben lag,
Nie, bis über den Tod hinaus,
Trotzdem lebt die Hoffnung nicht aus…
Und man jeden dieser Sätze,
Fast wie Hetze,
Wie Messerstiche im Herzen spürt, und
Es einen doch so anrührt,
Dass es auch anders sein kann?
Sein muss?
Was dann?
Was für ein schöner Tag,
Der eigentlich nur zeigt,
Was jeden einzlen Tag
Des Jahrs, ganz arg,
Fehlt-
Gefehlt hat
und für immer
Im Herzen des Kindes
Ein tiefes Loch gegraben hat?
Was denn?
Wenn man schon in der Schule spürt,
Dass die Muttertagsgedichte
Genau das sind,
Was das Kind sich sehnlichst wünschen würd?
Wenn man weiß,
Dass das eigentlich nicht stimmt,
Wofür man Danke sagt.
Und die Mama eben doch in den Arm nimmt?
Was dann?
Dann macht das Kind.
Die Freude trotzdem,
In der Hoffnung,
Mama hört hin,
Und zwar genau, besinnt,
Um zu verstehen,
Dass da viele Dinge fehl‘n.
Was dann?
Die Mama versteht
Die Botschaft nicht
Und so bleibt.
Alles wie es ist,
man wahrt eben das Gesicht.
Alles gut,
Alles klar,
Muttertag ist ja nur einmal im Jahr.
Und das Kind wird selbst Mama,
Und weiß, dass alles
Was ihr gedankt wird,
Wirklich stimmt,
Dass das keine Lügen sind.
Und im selben Atemzug,
Es ihr so sehr wehtut,
Und sie wieder die Stiche fühlt,
Im Herzen,
sie ist aufgewühlt,
Sie kann es kaum verschmerzen.
Das Kind in ihr,
Es weint bitterlich,
Doch keiner sieht’s –
Es ist nur innerlich.
Was dann?
Dann weiß sie,
Zwei Herzen schlagen in ihrer Brust,
Das der Mama
Und das des Kindes,
Um das sie sich jetzt kümmern muss.
(c) anonym